Das Oktober Heft beschäftigt sich mit München. Und kommt zur Erkenntnis: Städtebau ist der Grund, weshalb wir Deutschschweizer nach München fahren! Wir freuen uns über einen schönen Text von Ulrike Wietzorrek über unser Projekt in der Braystrasse.
Nachverdichtung ist das Schreckgespenst vieler Bürger, bedeutet sie doch in ihren Augen den Verlust wertvoller Grünflächen und Freiräume, steht im Zeichen steriler Luxussanierung und sozialer Verdrängung und passt überdies so gar nicht in das vertraute Bild von München als lebenswertes Millionendorf.
Dass es auch anders gehen kann, dass bauliche Verdichtung die in einem Ort schlummernden Qualitäten erst richtig zum Vorschein bringen kann, beweist das Projekt von Palais Mai, dessen Ausgangspunkt eine grosse brachliegende Hoffläche im Stadtteil Haidhausen ist. Das Grundstück liegt nur wenige hundert Meter östlich des Prinzgentenplatzes mit seinen gründerzeitlichen Prachtfassaden in einer Stadterweiterung aus den 1920er Jahren. Hier ist die Blockrandbebauung schlichter und grossmassstäblicher. Der damaligen Zeit entsprechend, gruppiert sich der Block um einen grossen Innenhof mit wertvollem altem Baumbestand. Die bayerische Landesbrandversicherung, die im Viertel über grosse Mietwohnungsbestände verfügt, erkannte das Potenzial und entschied sich für eine Ergänzung mit Mietwohnungen zur Aufwertung ihres Portfolios.
Auf Wunsch der Stadt wurde ein Planungswettbewerb durchgeführt, den das Büro Palais Mai für sich entscheiden konnte. Es ist der erste Geschosswohnungsbau der jungen Münchner, die hier ganz selbstverständlich drei polygonal geformte Baukörper zwischen Bestand und Bäumen einlagern. Die sensible Setzung verwebt sich mit dem Vorhandenen zu einem komplexen räumlichen Gefüge mit einer differenzierten Abfolge unterschiedlicher Platz- und Hofräume, von der alle Wohnungen – alt wie neu profitieren. Der Entwurf vermeidet dabei die Frontalität anderer Wettbewerbsbeiträge. Durch das mehrfache Knicken und Abwinkeln entstehen immer wieder neue Orientierungen und trotz der engen Gebäudestellung ein Gefühl von Weitläufigkeit durch Blicke in die Tiefe. Mit dem städtischen Kinderhaus wird auch eine öffentliche Nutzung in die private Welt des Hinterhofs injiziert.
Entscheidend ist die feine Lesart der schon vorhandenen Qualitäten des Orts, dessen Besonderheit schon immer die seltsame Verquickung eines mächtigen Kirchenbaus mit der U-förmigen Wohnbebauung und deren kleinteiligen Hinterhoffassaden war. Das Projekt entfaltet seine Kraft gerade in der Ambivalenz von halböffentlichem und öffentlichem Raum noch Hinterhof oder schon Stadt?
Die hellen Mauerwerksfassaden beziehen sich auf den Kirchenbau mit seinem roten Sichtmauerwerk, passen sich aber durch die entsättigte Tonalität an die Alltagsfassaden der umliegenden Wohngebäude an. Der wilde Verband der Ziegelfassaden ist einem Hinterhof angemessen, gleichzeitig unterstützt er die Haptik und Plastizität der körperhaften Bauten, die durch die Grosszügigkeit ihrer Fassaden wiederum Stadt konnotieren.
Die Architektur der einzelnen Gebäude nimmt sich bescheiden zurück. Entscheidend ist die atmosphärische Wirkung des Ensembles sowie der Raum, der sich über die Setzung der Baukörper definiert. Schade nur, dass die Erdgeschosswohnungen mit abgezäunten Terrassengärten eingegrenzt sind. Im auf Offenheit angelegten Binnenraum stört das die sorgfältig austarierte Abfolge öffentlicher, halböffentlicher und privater Räume. Dennoch sind hier keine profitbasierten Standardbauten entstanden, sondern eine prägnante Architektur, die gleichzeitig genügend Aneignungsmöglichkeiten bietet, um der Alltagspraxis des Wohnens Bedeutung verleihen zu können. Das Wohnen in dieser begehrten Lage hat allerdings seinen Preis. Die Versicherungsgesellschaft verlangt mit knapp 20 Euro pro Quadratmeter marktübliche Preise.
Quelle: https://www.wbw.ch/de/heft/artikel/leseprobe/2017-10-kultur-des-unterschieds.html